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„Diese Frau sollte man nicht unterschätzen, geistreich und witzig, absolutes Bestseller Potential“

Alexander Häusser,  Autor und Zeppelin-Liebhaber

 

 

Ausschnitt aus „Unzensiert durch Amerika – Gibt’s hier noch was zu Lachen?“ (Goldmann Verlag),
das ganze Buch gibt es hier oder im Buchhandel.

 

S. 26,  KALIFORNIEN

 

 

„Los Angeles ist eine intellektuelle Wüste,
deren einziger Beitrag zur amerikanischen Kultur
darin besteht,dass man bei Rot rechts abbiegen darf“

Woody Allen

 

 

„It Never Rains in Southern California“

Am nächsten Morgen nehme ich eine Dusche und beschließe, spazieren zu gehen. Draußen nieselt es zwar immer noch, aber das kann mich nicht aufhalten. Ich brauche Bewegung.
Ein Schauspielkollege hatte mir das »Urth Caffé« auf der Melrose Avenue empfohlen, knapp anderthalb Stunden zu Fuß.
Sie sehen, ich meine es ernst, wenn ich spazieren gehe. Meine Wanderlust wird aber bereits nach zehn Minuten massiv geschwächt, weil sich aus dem Nieselregen Bindfäden entwickeln. Wie lange kann so ein Regen in Los Angeles wohl dauern? Hier regnet es so gut wie nie. Tapfer marschiere ich weiter, immerhin ist es nicht kalt, und meine Kunstlederjacke gibt ihr Bestes, die dicken Tropfen abperlen zu lassen. Nach einer halben Stunde pladdert es wie verrückt. Ich bin komplett durchnässt. Und dann fährt einer der Autofahrer auch noch durch die tiefen Pfützen am Straßenrand, und – platsch – ich bin endgültig von Kopf bis Fuß nass, obwohl ich versucht habe, geistesgegenwärtig zur Seite zu springen. Gibt es hier denn nirgendwo eine Bushaltestelle oder einen Taxistand?

Plötzlich hupt es neben mir, und ich mache mich innerlich bereit, eine wilde Schimpftirade loszulassen, sollte ich
erneut Opfer eines hinterhältigen Pfützenterroristen werden.
»Hey, Mädchen! Steig ins Auto, du holst dir noch den Tod«, vernehme ich eine Frauenstimme. Sie kommt aus einem kleinen Ford Fiesta, dem vermutlich kleinsten Auto, das ich jemals in Amerika gesehen habe.

Ich zögere und wäge ab. »Niemals zu Fremden ins Auto steigen«, höre ich die Stimme meiner Mutter. Andererseits sieht die junge Frau wenig bedrohlich aus, und ich bilde mir ein, dass ich sie »schaffen« könnte, sollten wir eine körperliche Auseinandersetzung haben.
»Nun mach schon, ich kann dich ein paar Blocks mitneh- men«, erläutert sie ihr Angebot. »Ich bin aber ganz nass, ich sau dir dein Auto ein«, gebe ich ihr zu bedenken und schüttele innerlich über mich selbst den Kopf, da sie mich ja mitnehmen will, eben weil ich so nass bin.
»Das Auto ist so alt, dem macht es nichts aus«, erwidert sie und überzeugt mich einzusteigen.

»Ich heiße Gabriela! Musst du zur Arbeit? Ich muss zur Arbeit. Ein paar Blocks die Straße runter, ich arbeite in einem französischen Restaurant als Küchenhilfe.«

»Ah okay. Nein, ich muss nicht zur Arbeit. Ich heiße Katharina, ich will zum Urth Caffé.«

»Zum Urth? Auf der Melrose? Das ist aber noch ziemlich weit. Was willst du denn da?«

»Einen Kaffee trinken und mich aufwärmen.«

»Ist dein Auto kaputt?«, fragt Gabriela, und ich kann in ihrem Gesicht sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitet, um zusammenzubekommen, wieso um alles in der Welt eine Frau morgens im strömenden Regen einen für sie scheinbar sehr weiten Weg auf sich nimmt.

»Nein, ich habe gar kein Auto. Ich bin zu Besuch in der Stadt, und ein Freund sagte mir, dass es ein sehr schönes
Café ist. Ich bin gestern erst angekommen und wollte mich nach dem langen Flug bewegen.«

»Aber dios mio, es regnet, das ist der El Niño. Da hast du dir aber einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, um nach L.A. zu kommen.«

Ich nicke. El Niño. Von dem Wetterphänomen habe ich schon mal gehört. Klingt nach Erdkundeunterricht in der 8. Klasse. Vor meinem inneren Auge sehe ich Grafiken mit Kalt- und Warmwasserströmen. Ich denke an Passatwinde und den Pazifik, aber es will kein sinnvolles Bild in meinem Kopf entstehen. Setzen, Sechs!

»Was ist der El Niño?«, frage ich meine Fahrerin ungeniert und hoffe auf eine verständliche Erklärung.

»Das ist, wenn es zu viel regnet! Passiert nicht oft, aber passiert!«, erklärt sie kurz und knapp. Mhm. Hätte ich doch in der Mittelstufe mal aufgepasst und weniger Zettelchen geschrieben.

Das dichte Treiben des Verkehrs lässt uns im Schneckentempo vorankommen, und die Wassermassen, die auf die Windschutzscheibe klatschen, erschweren Gabriela die Sicht.
»Verdammt, ich werde zu spät kommen«, sagt sie und überprüft zugleich, ob es nicht sinnvoller wäre, ein weiteres Mal die Spur zu wechseln. »Eigentlich ist es gar nicht mehr weit. Siehst du die Tankstelle dahinten? Da würde ich dich rauslassen, weil ich abbiegen muss. Vielleicht kannst du dir dann ein Taxi rufen.«

»Super, vielen Dank, dass du mich eingesammelt hast.«

»Na klar, gerne. Mir tat es so leid, dass die Leute dich nass gespritzt haben. Das hat keiner verdient. Außer dem da.« Sie zeigt auf einen jungen Mann am Straßenrand, der eine völlig durchweichte Collegejacke und eine Schirmmütze trägt und genau wie ich nur wenige Minuten zuvor am Straßenrand entlangstapft.
»Was ist mit ihm?«, frage ich sie. »Der ist ein Arsch«, antwortet sie, »der arbeitet auch im Restaurant. Ständig macht er sich darüber lustig, dass ich Mexikanerin bin. ›Eine Mexikanerin in einem französischen Restaurant‹«, äfft sie ihn nach »›So weit ist es jetzt schon. Chica, du kannst nicht auf alles Nachosoße kippen. Das ist hier Belle Cuisine‹«, fährt sie in ihrer Darbietung fort. »Ich richte da die Teller an, weißt du? Und wenn ich den kleinsten Fehler mache, verpetzt er mich sofort. Er sagt, dass meine mexikanischen Wurstfinger zu fett sind, um gut zu arbeiten. Der Arsch! Geschieht ihm recht, wenn er jetzt nass wird. Außerdem trägt er immer zu viel Deo, da würde mein schönes Auto tagelang nach dem Zeug riechen. Nie und nimmer würde ich den mitnehmen. Nimm das!«, sagt sie herausfordernd und zeigt ihm unterhalb der Fensterkante den Mittelfinger, während sie den Kopf einzieht, damit er sie nicht sieht.

»Jetzt hast du es ihm aber gegeben«, kommentiere ich ihre Verrenkung anerkennend, dann setzt sie mich an der Tankstelle ab. Nach einem weiteren fünfzehnminütigen Fußmarsch erreiche ich eine Bushaltestelle. Mittlerweile ist es mir schon egal, ob der Bus mich meinem Ziel näher bringt, Hauptsache, ich kann wieder im Trockenen sitzen.

Aber tatsächlich fährt er die Melrose Avenue entlang, und ich erreiche schließlich das Urth Caffé. Es ist sehr klein, aber gemütlich, und ein Platz erregt sofort meine Aufmerksamkeit. Er befindet sich an einem kleinen Tisch direkt neben einem Kamin, in dem ein prasselndes Feuer Wärme verspricht. Leider ist er besetzt, von einer Frau, deren T-Shirt verrät, dass sie in dem Laden arbeitet.

Jetzt gilt es, sich vorzuarbeiten. Vermutlich macht sie gerade eine Pause. Wie lange kann das schon dauern? Gedan- kenversunken starrt sie in die Flammen und ignoriert meine Frage, ob der Stuhl ihr gegenüber noch frei ist.
Vorsichtig tippe ich mit dem Finger auf ihre Schulter und hoffe auf ihr Mitgefühl beim Anblick der dicken Tropfen, die von den Haarspitzen auf meine Jacke perlen, um dort im Kunstleder zu versickern.

Angestrengt dreht sie ihren Kopf zu mir und schaut mich mit kleinen, müden Augen an. »Entschuldigung, kann ich mich dazusetzen?«, frage ich sie, bemüht ebenso liebesbedürftig auszusehen wie sie. Das quittiert sie mit einem leichten Achselzucken und wendet sich wieder dem Feuer zu. Ich bestelle einen Milchkaffee und beobachte voller Neid, wie ihr Gesicht immer röter von der Wärme des Kamins wird.

Ob Missgunst wohl von unseren Urinstinkten herrührt?
Nass. Kalt. Feuer. Kathi will am Feuer sitzen. Frau muss weg. Kathi Frau wegschubsen. Kathi warm.
Kurz bevor ich ihr in Gedanken mit meiner imaginären Keule eins überziehe, steht sie auf und verschwindet hinter einer Tür nur für Mitarbeiter.
Während ich meine Jacke von der Stuhllehne nehme, um sie über den Sitz gegenüber zu werfen, steht bereits der nächste Höhlenmensch an meinem Tisch.

»Ist hier noch frei?«, fragt der Mann. »NEIN!«, knurre ich ihn an und schiebe mich ganz nah entlang der Tischkante in Richtung des begehrten Platzes. Dabei versuche ich, gleichzeitig ihn und den Stuhl, auf den ich mich setzen will, zu fixieren, was dazu führt, dass ich grotesk schiele. »Den da kannst du haben«, sage ich zu ihm, als ich schon fast sitze, und nicke dabei lässig zu meinem alten Sitzplatz, auf dem die Nässe deutliche Spuren meines Hinterns hinterlassen hat. »Schon gut!«, sagt er und zieht sich zurück, während ich innerlich triumphiere.

Kathi gut gemacht!

Nun gilt es, das Meiste aus meinem Sieg herauszuholen. Dafür ziehe ich zunächst heimlich unter dem Tisch die
Schuhe aus. Ich plane, erst die Schuhe am Feuer zu trocknen, um dann, während meine nackten Füße in den trockenen Schuhen verweilen, die nassen Socken zum Feuer zu hängen. Beides gleichzeitig zu trocknen würde bedeuten, barfuß am Tisch zu sitzen, was meiner Meinung nach zu viel Aufmerksamkeit erregt. Nicht, dass noch am Ende jemand denkt, ich wäre komisch. Da ich schwarze Socken trage, hoffe ich, dass die Leute, wenn sie mir nur flüchtig auf die Füße gucken, von schwarzen Schuhen ausgehen. Niemand erwartet, dass man in einem Café in Socken sitzt.
Es dauert einen Moment, bis ich das richtige Arrangement gefunden habe. Meine Jacke verdeckt den Blick auf meine trocknenden Schuhe, beides dicht genug am Feuer, um effizient zu trocknen, aber nicht angesengt zu werden.

Aus meinem kleinen Rucksack ziehe ich meine Reiseschreibmaschine. Das ist ein kleiner Laptop, den ich vorsichtshalber in ein Handtuch eingewickelt habe, mit dem ich mir nun schnell die Haare frottiere. Den restlichen Inhalt des Rucksackes, mein Portemonnaie und mein Notizbuch, lege ich vor mich auf den Tisch, der Rucksack selbst kommt zu den Schuhen.
Ich beschließe, dass es ein guter Zeitpunkt ist, ausgiebig zu frühstücken, da ich schätzungsweise die nächsten zwei Stunden hierbleiben möchte, bis alles trocken ist.
Als ich meine Bestellung aufgegeben habe, ertönt aus der Seitentasche meines Rucksacks die Knight-Rider-Titelmusik. Wer sollte mich denn jetzt anrufen? Das Handy ist schön angewärmt, das tut dem Akku bestimmt gut.

»Hallo?«, sage ich.

»Hey, hier ist Jack«, tönt es aus dem Lautsprecher.
»Was machst du?«
»Ich sitze mit einem Handtuch um den Kopf vorm Feuer und warte auf mein Avocadobrot.«
»Bist du im Hotel?«, will Jack wissen.
»Nee«, antworte ich. »Ich wohn in einer Airbnb-Wohnung in Silverlake. Aber jetzt bin ich im Urth Caffé.«
»Mit einem Handtuch?«, fragt er ungläubig und ergänzt nach einer kurzen Pause:
»Sehen wir uns heute Nachmittag? 14 Uhr? Soll ich dich in Silverlake abholen?«

»Gerne, bis später«, erwidere ich und lege zufrieden auf. Jack – lassen Sie sich von dem Namen nicht täuschen – ist Deutscher, wollte aber irgendwie immer lieber Amerikaner sein. Wir haben uns in Berlin kennengelernt bevor er für den ganz großen Durchbruch nach Amerika gezogen ist. Leider ist der bisher ausgeblieben. Meistens wird er als Nazideutscher besetzt, was angesichts seiner dunklen Haare merkwürdig anmutet, aber deutsch ist eben deutsch. Inzwischen lebt er in Los Angeles und verdient sich etwas als Yogalehrer dazu.

Ich öffne die WLAN-Einstellungen in meinem Handy, kann aber kein Netzwerk finden. Die Bedienung erklärt mir, dass wir uns hier an einem Ort befinden, wo man miteinander kommunizieren soll. Deswegen gibt es aus Prinzip kein WLAN. »Wir wollen miteinander reden«, fügt sie noch einmal hinzu und ist im Begriff, hinter den Tresen zurückzukehren.

»Worüber denn?«, frage ich sie.
»Worüber was?«, erwidert sie irritiert.
»Worüber wir reden wollen? Setz dich doch«,
biete ich ihr den nassen Stuhl gegenüber an. Wahrscheinlich fragt sie sich, ob ich völlig gestört bin. Immerhin trage ich ein Handtuch auf dem Kopf. Sie holt tief Luft, setzt an, etwas zu sagen, bricht dann aber wieder ab.

»Ich muss arbeiten«, bringt sie kurz und knapp hervor.

Die nächsten anderthalb Stunden beschäftige ich mich damit, alle zwanzig Minuten meine Klamotten zu wenden, meine Avocadostulle zu essen und Menschen zu beobachten. Das Highlight ist ein ungefähr dreijähriger Junge, der vor einer Vitrine mit Kuchen steht. Er ist angezogen, als ob er zu seiner eigenen Beerdigung ginge. Er trägt einen kleinen
schwarzen Anzug unter einem schwarzen Dufflecoat. In der Hand hält er ein Smartphone, und ich hoffe inständig, dass es seiner Mutter gehört, die sich mit einer Freundin angeregt an einem der Tische unterhält.

Als meine Habseligkeiten halbwegs trocken sind, trete ich den Heimweg an.